Redebeitrag zum Thema „Inklusion“ von Dr. Ludger Zeppenfeld (UWG) in der Sitzung des Kreistages am 11.07.2011
Sehr geehrter Herr Landrat, meine sehr verehrten Damen, meine Herren,
ich weiß, dass es leichter ist, für Inklusion zu sein, weil man dann nicht Gefahr läuft in Verdacht zu geraten, gegen Behinderte zu sein. Jeder gute Lehrer, gleichgültig in welcher Schulform, ist doch selbstverständlich um die Forderung bemüht – die sich wie ein roter Faden durch alle Skripten der Inklusionsbefürworter zieht – nämlich: hohe Unterrichtsqualität und individuelle Förderung aller SchülerInnen.
Mir liegt es fern, die Sorgen und Wünsche der insgesamt 10 Organisationen, die Inklusion wünschen, nicht ernst zu nehmen, wenn ich behaupte, dass es eines inklusiven Unterrichts nicht bedarf, junge Menschen einschließlich Behinderte individuell und auf qualitativ hohem Niveau zu unterrichten. Bei dieser Zielvorgabe spielt die Schulform sogar eine untergeordnete Rolle, viel entscheidender ist die Persönlichkeit des Lehrers. Dies geht bei der bisherigen Diskussion leider unter. Ein Lehrer, der sich nach den großen Ferien darauf freut, seine Schüler (und ich sage bewusst „seine“) wiederzusehen, dessen Freude überträgt sich auf die Schüler und die Atmosphäre in der Schule mit der Folge eines direkten Einflusses auf den Lernerfolg der Schüler.
Die UN-Behindertenrechtskonvention hat – meiner felsenfesten Überzeugung nach – Deutschland nicht gemeint, wenn sie zu Recht feststellt, dass Menschen mit Behinderungen ein Recht auf Bildung haben. Die Vereinten Nationen haben m. E. eine hohe Zahl unter den 193 souveränen Staaten gemeint, in denen gar keine Sonderschulen, sondern bestenfalls Verwahranstalten existieren und die darüber hinaus Behinderte vom Besuch allgemeinbildender Schulen gänzlich ausschließen. So erfahren Behinderte tatsächlich keinerlei Bildung.
Die Inklusionsbefürworter verweisen immer wieder auf den Artikel 24, Abs. 1 der UN-Konvention, in dem vom Recht der Menschen mit Behinderungen auf Bildung ohne Diskriminierung und mit Chancengleichheit die Rede ist.
Ich frage mich, wo in Deutschland und besonders auch hier im Kreise Olpe werden die Forderungen der UN nicht erfüllt?
Worin soll Diskriminierung liegen, wenn Behinderte in unserem kleinen Kreis Olpe allein in 10 Einrichtungen, darunter in 8 Spezialschulen, von spezifisch ausgebildeten Lehrkräften engagiert und individuell gefördert werden mit dem Ziel, in Gesellschaft und Arbeitsleben die gleichen Chancen zu bekommen wie Nichtbehinderte?
Nach meinem Dafürhalten verbieten sich in diesem Zusammenhang Begriffe wie ausgrenzen, diskriminieren und aussortieren. Darüber hinaus berufen sich die Olper Inklusionsbetreiber auf den von mir ansonsten geschätzten Hubert Hüppe, der wie ich 1974 die gute Idee hatte, CDU-Mitglied zu werden und es heute noch sein darf. Hüppe soll gesagt haben:
„Wer Inklusion will, sucht Wege, wer sie verhindern will, sucht Begründungen!“
Ob die Übernahme dieser Äußerung durch Olpe + e.V. besonders intelligent war, weiß ich nicht; ich jedenfalls halte diesen Spruch für dumm, weil er jeden Inklusionsgegner platt macht, auch den, der sich um ernsthafte Auseinandersetzung bemüht.
Natürlich weist inklusiver Unterricht auch Vorzüge auf:
- durch das alltägliche Miteinander werden Berührungsängste verringert oder sogar beseitigt.
- der gemeinsame Unterricht (GU) kann zeigen, dass es vollkommen normal ist, dass sich Menschen mehr oder weniger stark voneinander unterscheiden.
- die in jedem Menschen schlummernden sozialen Anlagen (Kompetenzen) können durch die schulische Gemeinschaft mit Behinderten frühzeitig geweckt und entwickelt werden – ein Vorteil für Nichtbehinderte von sehr großer Bedeutung.
Was mich an Inklusion erschreckt ist die Rigorosität ihrer Befürworter. Zitat:
„Kinder brauchen den Rechtsanspruch auf Inklusion.“
Mit dieser Forderung ist natürlich der GU auf der Basis der Integration, im Kreise Olpe zurzeit mit 169 Schülern praktiziert, gestorben.
Worin besteht der Unterschied zwischen Integration und Inklusion?
Die Erklärung finden wir in der Sachverhaltsdarstellung der Vorlage des Kreises Olpe, Fachdienst Personal, Schulen, Sport und Kultur. Dort heißt es: „Integration bedeutet, dass sich letztendlich der Schüler an das Schulsystem anpassen muss.“ Das ist normal, das ist aus meiner Sicht selbstverständlich. Auch nichtbehinderte Schüler sind häufig weder anpassungswillig noch anpassungsfähig. Wenn dem so ist, müssen sie das System wechseln. Der nächste Satz aus dieser Informationsvorlage des Kreises Olpe: „Inklusion bedeutet demgegenüber etwas gänzlich anderes, nämlich dass sich das Schulsystem an den Schüler anpassen muss.“
Nichts anderes macht doch jede Förderschule: die Förderschule Sehen passt sich dem Sehbehinderten an; die Förderschule Sprache passt sich den Sprachbehinderten an; eine andere Spezialschule passt sich emotional gestörten Schülern an, wie die fünf anderen Förderschulen auch, mit dem Ziel – ich sagte es bereits – diese Behinderungen und Störungen soweit zu reduzieren, dass ein Leben in Gemeinschaften – sei es bei der Arbeit, im Sport, in der Freizeit, ja auch in Regelschulen – möglich wird.
Ich bin der Auffassung, das GU in integrativer Form weiterhin gepflegt und ausgebaut werden sollte, und ich glaube, dass gerade körperlich behinderte Schüler in sehr viel höherer Zahl gemeinsam mit Nichtbehinderten beschult werden können.
Auf Regelschulen bezogen hat mich dieser letzte Satz „dass sich das Schulsystem an den Schüler anpassen muss“ buchstäblich sprachlos gemacht. Die Verwaltung hat das in ihrer Sachverhaltsdarstellung nicht etwa falsch interpretiert, nein, Olpe + e.V. drückt sich in ihrem Papier auf Seite 1 eindeutig aus. Zitat: „Die Schule muss sich auf die (individuelle) Situation der SchülerInnen einstellen und nicht umgekehrt.“ Damit ist selbstverständlich und auch gerade die Regelschule gemeint.
Meine Damen und Herren, seien Sie sich bewusst, dass Sie, wenn Sie gleich der Inklusion zustimmen, unser Regelschulsystem nach meiner Auffassung revolutionär verändern. Hier steht nicht: „der Lehrer/die Lehrerin“ muss sich auf die Situation der SchülerInnnen einstellen (was selbstverständlich ist), hier steht und das bewusst: „die Schule“ muss sich auf die Situation der SchülerInnen einstellen. Damit verändern wir das System. Das darf nicht wahr sein und lassen Sie es nicht wahr werden, meine Damen und Herren. Ich hatte manchmal Klassen mit Schülern ohne Hauptschulabschluss, HS A+B, Realschulabschluss und Allgemeiner Hochschulreife, alle in einer Klasse. Glauben Sie mir, dass mir diese Bandbreite an schulischen Provenienzen häufig meine pädagogischen Grenzen aufzeigte. Stellen Sie sich vor, hier wäre noch ein geistig behinderter Schüler zugestoßen, ich wäre hoffnungslos überfordert gewesen und hätte der Hilfe eines Spezialisten der entsprechenden Förderschule bedurft, der sich dieses Schülers angenommen hätte – im Einzelunterricht oder vielleicht in einer Kleinstgruppe zusammen mit zwei Hauptschülern ohne Abschluss. Das wiederum würde Separation bedeuten, und Separation in einer Regelschule ist aus meiner Sicht schlimmer als gemeinsamer Unterricht mit Gleichbehinderten in einer Förderschule.
Aber auch da, wo die Bandbreite schmal ist – weil schulische Vorbildung und Leistungsvermögen der Schüler einer Klasse homogen – wird das Unterrichten auch ohne Inklusion nicht leichter, weil LehrerInnen sich mehr und mehr Aufgaben widmen müssen, die originär die der Eltern sind, nämlich: erziehen. In gleichem Maße, in dem sich Lehrer Erziehungsaufgaben widmen, geht Ihnen die Zeit für ihre Hauptaufgabe, das Lehren, verloren.
Meine Damen und Herren, zwingende Voraussetzung zum Gelingen der Inklusion ist ein überzeugtes Mitmachen von Lehrern an Regelschulen. Daran mangelt es bundesweit. So hat sich jüngst der Philologenverband Baden-Württemberg sehr eindeutig gegen Inklusion positioniert. Daran wird auch ein UN-, Bundesrats-, Landesparlaments- und Kreistagsbeschluss nichts ändern.
Ein Lehrer, der spürt, dass die Rechte seiner Schule beschnitten und die der Eltern erweitert werden, geht verständlicherweise zunächst einmal in Abwehrhaltung. Von ihm kann man keine aktive Mitarbeit erwarten. Insofern haben die Inklusionsbefürworter durch ihre m. E. überzogenen Forderungen viel Porzellan zerschlagen.
Die von mir erwähnten Vorzüge der Inklusion sind zu wenige, um den Mehraufwand an Personal, Sachmitteln und Raumbedarf zu rechtfertigen. Diese Mehraufwendungen sind bei einer angestrebten Inklusionsquote von 80 %, die die UWG für völlig utopisch hält, zwingend. Dabei müssten die meisten Förderschulen dennoch existent bleiben. Die darin beschulte Restquote an Behinderten wäre dann erst richtig exkludiert.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns den gemeinsamen Unterricht über den bereits eingeschlagenen Weg der Integration beibehalten. Dieser Weg ist zwar noch ein sehr schmaler und holpriger Pfad, der behutsam ausgebaut werden sollte, besonders im Interesse körperlich Behinderter.
Inklusion hat in den Förderschulen bereits große Unruhe ausgelöst, und man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass diese Unruhe auch die Regelschulen erfassen wird, nämlich dann, wenn die Lehrer merken, dass sich bei der Inklusion ihr Schulsystem an den (behinderten) Schüler anpassen muss. Dabei wäre nichts wichtiger, als endlich Ruhe an der Bildungsfront, langersehnt, doch nie erreicht.
Fazit für die UWG:
- ein überzeugtes Nein bei der Inklusion,
- ein überzeugtes Ja für die Integration
mit dem unschätzbaren Vorteil, dass sich jeder Schüler nach wie vor anpassen muss an ein Schulsystem, welches für einen großen Teil der Behinderten – nicht für alle – ausbaufähig ist.
Die UWG würde sich freuen, wenn sich weitere Kreistagsmitglieder unseren Argumenten anschließen könnten.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.